Emotionale Intelligenz und das Innere Kind – Moderne Labels für bewährte Modelle
In den letzten Jahren sind zwei Begriffe im Feld der Selbstentwicklung und Psychologie besonders populär geworden: „Emotionale Intelligenz“ und „das innere Kind“. Sie werden oft als neue, revolutionäre Konzepte vermarktet, die uns helfen sollen, unsere Emotionen besser zu verstehen und eine tiefere Verbindung zu uns selbst zu schaffen. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es sich im Kern um alte Konzepte handelt – neu verpackt und mit einem frischen Etikett versehen.
Emotionale Intelligenz – hört sich prima an
„Emotionale Intelligenz“, vor allem bekannt durch Daniel Goleman, bezieht sich auf die Fähigkeit, Emotionen sowohl bei sich selbst als auch bei anderen zu erkennen, sie zu verstehen und angemessen damit umzugehen. Eine klangvolle Idee, die dem modernen Bedürfnis nach Selbstoptimierung entgegenkommt. Doch wer sich länger mit psychologischen Theorien beschäftigt, merkt schnell: Dieses Prinzip ist nicht neu. Schon Aristoteles betonte die Bedeutung von Empathie und sozialer Kompetenz im zwischenmenschlichen Miteinander. Auch in der humanistischen Psychologie, etwa bei Carl Rogers, stand die Bedeutung von Selbstwahrnehmung und Empathie im Mittelpunkt.
Was heute unter „emotionaler Intelligenz“ zusammengefasst wird, ist im Grunde eine verständliche und vermarktungsfähige Verpackung alter Erkenntnisse. Das Problem dabei ist, dass der Begriff eine Vereinfachung darstellt. Er suggeriert, dass emotionale Kompetenz ähnlich wie analytische Intelligenz erlernbar ist – ein Talent, das man sich schnell aneignen kann. Doch Emotionen und zwischenmenschliche Beziehungen sind deutlich komplexer und lassen sich nicht einfach durch „Training“ in den Griff bekommen.
Das innere Kind – hilfreiche Metapher oder bequeme Ausrede?
Ähnlich verhält es sich mit dem Konzept des „inneren Kindes“. Diese Idee, dass unverarbeitete Kindheitserfahrungen unser Erwachsenenleben beeinflussen, ist keineswegs neu. Freud, Jung und viele ihrer Nachfolger haben intensiv an der Frage geforscht, wie frühkindliche Prägungen unsere Persönlichkeit formen. Der Begriff „inneres Kind“ hat jedoch den Vorteil, dass er die Auseinandersetzung mit diesen tiefen, oft schmerzhaften Themen vereinfacht und für viele Menschen zugänglicher macht.
Auch hier besteht die Gefahr der Vereinfachung. Die Arbeit mit dem „inneren Kind“ wird oft auf die Idee reduziert, man müsse nur seine kindlichen Anteile „annehmen“, um Heilung zu erfahren. Dabei wird übersehen, dass das eigentliche therapeutische Arbeiten mit frühkindlichen Traumata und Mustern tiefgehende Prozesse erfordert, die nicht einfach mit ein paar netten Worten gelöst werden können.
Warum diese Begriffe so beliebt sind
Ein Grund, warum Begriffe wie „emotionale Intelligenz“ und „das innere Kind“ heute so im Trend liegen, ist ihre leichte Verständlichkeit. Sie bieten einfache, eingängige Antworten auf komplexe Fragen, die sich in einer schnelllebigen Welt mit hoher emotionaler Belastung viele Menschen stellen. Doch genau darin liegt die Gefahr: Wer komplexe psychologische Prozesse in schicke Begriffe verpackt, riskiert, dass die Tiefe und Komplexität dieser Themen verloren geht.
Die Reduktion auf vereinfachte Konzepte mag kurzfristig hilfreich sein, birgt jedoch das Risiko, dass die Menschen sich mit der Oberfläche zufriedengeben und die tatsächliche, tiefere Auseinandersetzung mit ihren Emotionen und Kindheitserfahrungen vermeiden.
Fazit: Altbewährtes in neuem Gewand
Es lässt sich nicht bestreiten, dass Begriffe wie „emotionale Intelligenz“ und „das innere Kind“ viele Menschen dazu anregen, sich mit ihren Gefühlen und ihrem Inneren zu beschäftigen. Sie haben also durchaus ihren Nutzen. Doch gleichzeitig ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass es sich um Konzepte handelt, die längst fester Bestandteil der psychologischen Arbeit sind. Wer sich nur auf die modischen Schlagworte verlässt, verpasst die Chance, tiefer in die Thematik einzutauchen und nachhaltige Veränderungen in seinem Leben zu bewirken.
Manchmal lohnt es sich eben, den Blick über das Etikett hinaus zu richten – denn auch wenn der „Schinken“ neu verpackt ist, hat er immer noch denselben Geschmack.
Kontaktieren Sie uns, wenn Sie ähnlich oder kontrovers denken. Oder wenn Sie an unserer Ausbildung zu zertifizierten Mediator*innen interessiert sind. Wir freuen uns auf Sie, die inneren Kinder geben Sie bitte an der Garderobe ab.
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