Warum gute Gespräche biochemisch wirken – und Mediation weit mehr ist als Kommunikation
„Bleiben Sie sachlich!“ – ein Satz, den man in Konflikten oft hört. Doch wer einmal mitten in einem echten Streit stand, weiß: Sachlich bleiben ist leichter gesagt als getan.
Denn während wir reden, argumentieren oder schweigen, läuft in unserem Körper ein hochkomplexes biochemisches Programm ab.
Die Mediation – also der strukturierte Versuch, Konflikte konstruktiv zu lösen – wirkt auf dieser Ebene weit tiefer, als vielen bewusst ist. Sie beeinflusst, wie wir denken, fühlen und reagieren – und damit auch unsere Hormonlage.
Wenn Stress übernimmt
Sobald ein Konflikt als Bedrohung wahrgenommen wird, schaltet unser Körper in den Alarmmodus. Das sogenannte Stresssystem aktiviert sich:
- Adrenalin und Noradrenalin erhöhen Puls und Aufmerksamkeit,
 - Cortisol hält uns über Stunden in Habachtstellung.
 
Diese Hormone haben uns evolutionär das Überleben gesichert – heute aber führen sie dazu, dass wir in Konflikten gar nicht mehr wirklich zuhören können. Unser präfrontaler Kortex – also jener Teil des Gehirns, der für logisches Denken, Empathie und Perspektivwechsel zuständig ist – wird regelrecht gedimmt.
Ein Mensch im Stressmodus kann gar nicht friedlich verhandeln. Das gilt für Führungskräfte genauso wie für Paare oder Teams.
Mediation als biochemische Intervention
Hier beginnt die eigentliche Kunst der Mediation.
Eine gute Mediatorin oder ein guter Mediator hilft nicht nur, Worte zu finden, sondern auch, das Nervensystem zu beruhigen.
Durch Struktur, Zuhören, Pausen, Spiegeln, wertschätzende Sprache – kurz: durch Resonanz – kann das Stresssystem heruntergefahren werden.
Das Belohnungserwartungssystem bekommt wieder Raum: Statt Bedrohung rückt Hoffnung ins Zentrum. Statt Cortisol beginnt das Dopamin-System zu arbeiten – das Hormon der Motivation und Erwartung.
Und wenn Vertrauen entsteht, kommt noch etwas hinzu: das Glückssystem.
Hier spielen Oxytocin (Bindung, Vertrauen) und Serotonin (Stabilität, Zufriedenheit) eine Rolle. Sie sorgen dafür, dass ein Gespräch plötzlich wieder „leicht“ wird, dass Nähe spürbar ist – und echte Lösung möglich wird.
Wissenschaftliche Perspektive
Der Neurobiologe und Arzt Prof. Dr. med. Tobias Esch beschreibt in seinen Forschungen die Wechselwirkung dieser drei Systeme – Stress, Belohnung und Glück – als zentrales Steuerungssystem unseres Wohlbefindens.
Er spricht von einer „neurobiologischen Selbstheilung“, bei der unser Körper in der Lage ist, Balance wiederherzustellen – wenn wir die richtigen Bedingungen schaffen.
Und genau das tut eine gelungene Mediation:
Sie schafft Bedingungen, unter denen Stress abgebaut und positive Erwartung aufgebaut werden kann.
„Gesundheit“, so Esch, „ist keine Abwesenheit von Krankheit, sondern ein dynamisches Gleichgewicht.“
Mediation ist – auf dieser Ebene gedacht – nichts anderes als die Wiederherstellung eines Gleichgewichts im sozialen System.
Resonanz statt Rechthaben
Hier schließt sich der Kreis zu Uli Funke, der in seiner Arbeit an der Schnittstelle von Neurodidaktik und resonanzorientierter Kommunikation zeigt, wie Lernen, Veränderung und Beziehung biologisch und emotional verankert sind.
Funke verdeutlicht, dass wir durch Haltung, Sprache und Präsenz im Gespräch andere Menschen nicht nur kognitiv, sondern auch körperlich erreichen.
In der Mediation bedeutet das: Wir schaffen Resonanzräume, in denen Sicherheit, Zugehörigkeit und Vertrauen entstehen – die Grundbedingungen für biochemische Entspannung.
Eine gute Mediation wirkt also nicht nur kommunikativ, sondern physiologisch regulierend. Sie hilft, aus einer Stressreaktion (Fight, Flight, Freeze) wieder in einen Zustand sozialer Offenheit zu gelangen.
Warum das für Mediator*innen wichtig ist
Wer versteht, dass Konflikte auch hormonell wirken, kann ganz anders arbeiten:
- Geduld wird zur biochemischen Notwendigkeit, nicht zur Nettigkeit.
 - Pausen werden zu Interventionen, nicht zu Unterbrechungen.
 - Empathie wird zum Mittel der Regulation, nicht zur reinen Haltung.
 
Denn jede Geste, jeder Tonfall, jede Wortwahl hat neurobiologische Folgen.
Ein einziger Satz kann Cortisol freisetzen – oder Oxytocin.
Fazit
Mediation ist weit mehr als ein Verfahren zur Konfliktlösung.
Sie ist eine biopsychosoziale Regulationstechnik – eine Brücke zwischen Gehirn, Gefühl und Gemeinschaft.
Wer das versteht, erkennt auch:
Gute Gespräche sind Medizin.
Und Mediator*innen sind – im besten Sinne – Hormonregulierer auf zwei Beinen.
Literatur / Verweise
- Prof. Dr. med. Tobias Esch: „Die Neurobiologie des Glücks“, „Der Selbstheilungscode“
 - Uli Funke: „Neurodidaktik – Wie Gehirn, Emotion und Lernen zusammenwirken“
 - Uli Funke auf LinkedIn
 - ulifunke.com
 - tobias-esch.com
 
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